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Vom Glück des Chorgesangs (Artikel Mainpost vom 12.11.2016

12.11.2016
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Vom Glück des Chorgesangs

Was Singen bewirkt Tiefes Atmen, aufrechte Haltung - Singen tut dem Körper gut, und Spaß macht es in der geselligen Runde auch. Probenbesuche bei Chören in der Region.

Zuerst kreist der rechte Fuß, dann der linke. Weiter geht es mit den Knien. Schließlich wird der Bauch abgeklopft. Nein, wir sind nicht in einer Gymnastikstunde gelandet. Sondern bei einer Probe des Domchors. Singen, zeigt der Blick hinter die Chorkulisse, hat durchaus etwas Sportliches. Vor allem durch den Mix aus körperlicher und seelischer Bewegung, beschwören Sänger aus der Region, tut Singen unglaublich gut.

Domchorsänger Johannes Zeuch pilgert bereits seit 50 Jahren wöchentlich zur Chorprobe. Hier könne er wunderbar abschalten, sagt der 59-jährige Jurist. Außerdem fand er beim Domchor sein Lebensglück: "Nämlich meine Frau." Womit Johannes Zeuch keine Ausnahme ist. Auch sein Mitsänger Christof Dietrich und seine Gattin kamen durch den Chor zusammen. Das war in Leipzig, wo der Physiker lange lebte. Seit eineinhalb Jahren gehört er dem Domchor an.

Welche verblüffenden Effekte das Singen haben kann, zeigt sich für Domkapellmeister Christian Schmid am intensivsten bei Kindern: "Manche unserer Kinder sind in der Schule extrem auffällig." Bei Proben und Aufführungen hingegen spuren sie ohne Probleme: "Selbst sehr quirlige Kinder machen uns keinerlei Schwierigkeiten."

Das Singen gibt einem unendlich viel, bestätigt der 67 Jahre alte Mathematiker Rolf Schlegelmilch, Manager des Würzburger Chors "Voices". Nach anstrengenden Tagen tankt er bei den Proben neue Kraft. Singen sei für ihn "Seelenbalsam", sagt Schlegelmilch: "Gerade beim älter werdenden Menschen beeinflusst es das Atmen positiv."

Auch Gisela Wichmann vom Oratorienchor geht immer mit Freude zur Probe: "Denn es ist tief befriedigend, mit anderen zusammen ein großes Werk zu erarbeiten und die Fortschritte über Wochen hin zu beobachten." Natürlich sei es vor Konzerten stressig. Aber dieser Stress werde nur für Augenblicke als negativ empfunden. Richtig unter Druck fühlt sich Wichmann nie: "Zumal nicht, wenn man den Chor-Stress mit Stresssituationen im Arbeitsbereich vergleicht."

Mitsängerin Elke Rösch pflichtet ihr bei. Gerade in schwierigen Zeiten erlebte sie in bislang 17 Jahren, wie gut das Chorsingen tut: "Die Gemeinschaft der Chorkollegen hat mich über diese Phasen hinweggebracht." Wie das Singen, das Atmen, die Stimmbildung und die netten Menschen um einen herum die Lebensgeister immer wieder weckten - das sei geradezu "ein kleines Wunder".

"Für mich ist Chorsingen Therapie", ergänzt ihre Gesangskollegin Irmtraud Mark. Wer in Gemeinschaft singe, müsse ganz bei der Sache sein. "Ich kann dadurch meine Probleme vergessen", sagt die 53-Jährige aus Theilheim. Kein Hehl macht sie daraus, dass beim Würzburger Oratorienchor viel verlangt wird: "Das kann sich das Publikum beim Konzert gar nicht vorstellen, wie viel Kraft und Energie man in die Sache steckt, und wie viele Dinge beim Singen beachtet werden müssen." Es brauche durchaus "eine gewisse Sportlichkeit", um dies durchzustehen.

Abstecher nach Gochsheim, zum Gesangverein 1879. Singen macht Spaß, die Gemeinschaft auch, zeigt sich beim Probenbesuch. Jeden Dienstag wird erst hart gearbeitet, dann sitzt die Runde noch zusammen. "Wir sind eine fröhliche Truppe", sagt der Vorsitzende Hajo Muck. Es wird viel gewitzelt, bis es losgeht. Und gefrotzelt in den Pausen. Chorleiter Christopher Kuhn hat alles im Blick. Er kommt ziemlich rum in der Chorszene, leitet noch Chöre in Grettstadt, Unterspiesheim, Gerolzhofen und Hausen. Er weiß, was er von jedem Sänger verlangen kann, und zeigt auch, wenn's gut ist: "Das üben wir noch mal, das schafft ihr locker." Singen heißt atmen - der Police-Hit "Every Breath you take", der in Gochsheim in dieser Probe geübt wird, passt.

Die These, dass Singen gesund ist, kann die junge Philosophin Anna-Katharina Strohschneider, Mitglied des Kammerchors Cappella St. Stephan, bestätigen: "Beim Singen spürt man in den eigenen Körper hinein. Man atmet sehr bewusst und tief und bemüht sich um eine gesunde, aufrechte Körperhaltung mit geradem Rücken." Umgekehrt spüre man beim Singen sofort, wenn es einem nicht gut geht, man nicht die rechte Kraft und Spannung aufbringt. Anna-Katharina Strohschneider versucht, die Erkenntnisse aus dem Singen in ihren Alltag als Wissenschaftlerin zu integrieren. Zum Beispiel die Lockerungsübungen vom Einsingen: "Ich habe gelegentlich, beim längeren Reden oder bei Vorträgen, Stimmprobleme. Die bekämpfe ich, indem ich die Techniken aus dem Singen auf meine Sprechstimme anzuwenden versuche."

Der positive Einfluss des Singens sei "unverkennbar", meint Barbara Eismann aus Marktheidenfeld, seit 13 Jahren im Würzburger Missiochor. Die 64-Jährige erkrankte vor vier Jahren an Krebs. "Zu jener Zeit empfand ich nur positive Einflüsse durch den Chor." Die anderen hätten ihr immer wieder Mut zugesprochen: "Und sie freuten sich mit mir über die wieder wachsenden Haare." Den Gesang habe sie in dieser schweren Zeit wie eine Befreiung erlebt. Auch Mitsängerin Marlies Weitze erfuhr ganz konkrete körperliche Effekte durch das Singen: "Früher waren Reizhusten und Bronchitis meine ständigen Begleiter." Seit sie dem Missiochor angehört, seien die lästigen Symptome verschwunden.

Ob man in geselliger Runde ohne größeren künstlerischen Anspruch Lieder singen oder mit anspruchsvollen Werken vor großem Publikum in Konzertsälen auftreten will - in der Chorszene in der Region ist für jeden etwas dabei: Frauen- und Männerchöre, Senioren-, Kinder- und Jugendchöre, Kirchen-, Oratorien-, Gospel-, Pop-, Jazz-, Shanty-Chöre . . .

Der Missiochor ist insofern etwas Besonderes, als die Mitglieder afrikanische Texte auswendig lernen müssen. "Das ist mit 64 oft eine Hürde, aber ich sehe es als Gedächtnistraining an", sagt Barbara Eismann. Sitzen die fremden Wörter endlich, sei dies ein zutiefst befriedigendes Gefühl. Ähnliches erlebt Gerhard Roth von der Kantorei St. Stephan. "Die Gehirntätigkeit wird angeregt, wenn man Melodien auswendig singen lernt", so der evangelische Pfarrer im Ruhestand. Wichtiger aber sei die psychische Wirkung: "Die Freude, die es macht, schöne Musik zu singen und zugleich die vielen anderen, ganz unterschiedlichen, mal süddeutsch-fränkischen, mal norddeutsch geprägten Stimmen zu hören."

In der hiesigen Szene trifft man vor allem auf etwas ältere Semester. Viele Chöre, vor allem mit einem Repertoire in der Tradition der Liedertafeln des 19. Jahrhunderts, haben akute Nachwuchsprobleme. Auch in Gochsheim. Selbst wenn die Jungen begeistert bei der Früherziehung mitmachen und vielleicht im Kinderchor mitsingen: Die meisten ziehen spätestens zum Studium weg, sagt Hajo Muck vom Gesangverein 1879. Dort ist die älteste Sängerin in der Runde 75, der jüngste Sänger 16 - erst, immerhin. Und es gibt schöne Beispiele dafür, wie junge Leute fürs Singen begeistert werden können: Der Schweinfurter Thalia Chor etwa ist mit Popsongs oder Musicalhits erfolgreich - beim Publikum wie bei der Mitgliedersuche.

"Bei jungen Leuten hat Singen heute einen höheren Stellenwert als noch vor etwa 15 Jahren", sagt Unterfrankens Popularmusikbeauftragter Peter Näder. Meist werde zunächst versucht, Idole zu kopieren - was unter Gesundheitsaspekten betrachtet freilich keinen Sinn macht.

Welche Effekte das Singen auslöst, damit beschäftigt sich in Würzburg seit vielen Jahren Professor Friedhelm Brusniak. Das aktive Musizieren mit dem ältesten Instrument der Welt, der Stimme, sagt der Musikpädagoge, helfe bei der Bewältigung existenzieller Fragen. "Wir singen bei Glück und beim Lobpreis, bei Trauer und bei Klage, privat und öffentlich, als unverzichtbarer stimmlicher Ausdruck von Befreiung und Freiheit." Die besondere Verbindung von Sich-Erinnern und Handeln aktiviere beim Singen Körper und Geist: "Und gibt nicht zuletzt aufgrund intensiverer Atmung und der erhöhten Sauerstoffzufuhr neue Kraft." MITARBEIT: SUSANNE WIEDEMANN

Warum Singen gesund ist

Der Gesang ist zwar eine der ältesten Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen überhaupt. Aber wie das Singen auf Körper, Geist und Seele wirkt, damit beschäftigen sich Wissenschaftler noch nicht allzu lange. Was klar scheint: Wer regelmäßig aktiv singt, hat ein besseres Immunsystem und bleibt länger gesund. Beim Singen im Chor wird die Atemmuskulatur aktiviert, durch das Gemeinschaftserlebnis werden eine ganze Reihe von positiven Emotionshormonen ausgeschüttet: Oxytocin, das sogenannte Kuschelhormon zum Beispiel der Endorphine, die klassischen Glückshormone. Außerdem wird beim Singen Immunglobolin gebildet - das heißt: Es stärkt die Abwehrkräfte. Das bloße Musikhören ließ in Studien das Immunsystem kalt.

 

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